durchschnittliche Lesezeit: 9 Minuten
 
„Hilf mir  es selbst zu tun!“
 
Mit diesem Leitspruch der Montessoripädagogik ist eigentlich schon das Wesentliche gesagt.
 
Und doch ist die Welt von Montessori so komplex, dass es viel länger gedauert hat als geplant, mir zu überlegen, welche Aspekte mir für meinen Blog wichtig sind und die Zusammenhänge logisch darzustellen.
Zunächst einmal hatte Maria Montessori eine völlig neue Sicht auf Kinder, als es zu ihrer Zeit üblich war. Und auch heute noch, in Zeiten von „Helikopter- Eltern“  und Leistungsdruck, kann man ihre Ansichten als revolutionär ansehen.
Maria Montessori ging davon aus, dass jedes Kind mit einem inneren Bauplan auf die Welt kommt. Nach diesem Bauplan kann ein Kind unter den richtigen Rahmenbedingungen alle Fähigkeiten erlernen, die es im Leben benötigt. Jedes Kind in seinem eigenen Tempo und auf seine eigene Art und Weise. Nach Montessori ist nämlich jedes Kind einzigartig. Die Aufgabe der Bezugsperson, egal ob Eltern, Lehrer oder Erzieher, ist es, die Einzigartigkeit des Kindes anzuerkennen und die Umgebung so zu gestalten, dass es sich gut entwickeln kann.
Die Montessori- Pädagogik folgt 10 Grundsätzen des Erziehens. Dabei ist zu beachten, dass das Konzept für Betreuungseinrichtungen gedacht ist und nicht für den „Hausgebrauch“. Insofern verwundert es nicht, dass man im familiären Umfeld bei Weitem nicht alle Punkte umsetzen kann. 
Trotzdem möchte ich an dieser Stelle die 10 Grundsätze kurz vorstellen, damit man das Montessori- Konzept in seiner Gesamtheit verstehen kann.
 
1)  Freiheit
Kernelement der Montessori- Pädagogik und ebenso umstritten. 
Das Kind entscheidet selbst, womit es sich beschäftigen möchte. Hintergrund ist, dass Kinder noch Probleme damit haben, Aufforderungen nachzukommen, weil sie sich noch nicht so gut beherrschen können. Nur dadurch, dass das Kind seine Beschäftigung frei wählen kann, entsteht echtes Interesse an einem Gegenstand. Und nur so kann das Kind seine Fähigkeiten entwickeln und innere Ruhe und Ordnung finden.
Nun kann man anmerken, dass man sich im späteren Leben auch nicht immer aussuchen kann, was man tun und lassen möchte. Hier entgegnet Montessori, dass Kinder erst einmal Kraft sammeln und sich innerlich stärken müssen, bevor sie in der Lage sind, auch ungeliebte Aufgaben auszuführen.
Die Freiheit der Kinder hat auch bei Montessori Grenzen, und zwar dort, wo das Verhalten des Kindes der Gemeinschaft schadet:
„Die Freiheit unserer Kinder hat als Grenze die Gemeinschaft, denn Freiheit bedeutet
nicht, dass man tut, was man will, sondern Meister seiner selbst zu sein.“ (Montessori, – Grundlagen meiner Pädagogik 1968)
 
Für die Anwendung im Alltag/ in der Familie sehe ich hier nicht so große Probleme. Wenn mein großer Sternentänzer nach einem anstrengenden Tag aus der Kita kommt, soll er sich seine Beschäftigung selbst aussuchen können. Wenn ich da anfangen würde, mit ihm Zählen, Feinmotorik oder ähnliches zu üben, obwohl er dafür überhaupt nicht aufnahmebereit ist, würde das lediglich eine Abwehrhaltung hervorrufen und schlechte Laune verursachen. Aus diesem Grund versuche ich, ihn und seine Interessen sehr genau zu beobachten und ihm Dinge anzubieten, die ihm Spaß machen, aber trotzdem seinen Erfahrungsschatz erweitern.
Wofür mir bislang noch keine Lösung eingefallen ist, sind Situationen mit Zeitdruck. Morgens in die Kita, pünktlich beim Arzt sein usw. Hier kommt es bei uns regelmäßig zu Reibereien, wenn der große Sternentänzer die Notwendigkeit anders beurteilt als seine Eltern. Ich weiß, dass dies in vielen Familien ein Problem darstellt und bin sehr dankbar für jeden Kommentar, der einen Tipp zur Lösung dieses Problems enthält…
 
2) Polarisation der Aufmerksamkeit
Dieser Zustand ist erreicht, wenn ein Kind völlig in seiner Tätigkeit versinkt. Die Umgebung wird dabei komplett ausgeblendet, es ist nur auf eine einzige Sache konzentriert.Bei Erwachsenen spricht man von einem „Flow- Erlebnis“. Das Kind ist zufrieden, innerlich ruhig und ausgeglichen. Wenn dieser Zustand erreicht ist, fällt es Kindern viel leichter, sich Fähigkeiten und Kenntnisse anzueignen. Damit die Polarisation der Aufmerksamkeit erreicht werden kann, sollte das Kind sich freiwillig einer Beschäftigung widmen (siehe Punkt 1). 
 
Ich bin immer wieder fasziniert, wenn ich Kinder dabei beobachte, wie sie komplett in ihre eigene Welt abtauchen und sich auf eine einzige Sache konzentrieren können. Leider gab es solche Momente bei meinem großen Sternentänzer in der Vergangenheit eher selten. Das war auch ein Grund, mich zu fragen, was ich anders machen könnte. Er sollte auch die Möglichkeit bekommen, sich zu vertiefen und Dinge nicht wie bisher nur oberflächlich betrachten. Seit ich einige der Grundsätze von Montessori anwende, beobachte ich immer öfter echtes Interesse und einen viel intensiveren Umgang mit Dingen. Das macht mich sehr stolz und zeigt mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Manchmal ärgere ich mich richtig darüber, dass ich mir diese Gedanken nicht schon vor drei Jahren gemacht habe, das hätte für uns und den großen Sternentänzer Vieles leichter gemacht. Aber sei´s drum, es tut ihm jetzt gut und das ist die Hauptsache!
Der kleine Sternentänzer hatte von Anfang an ein ganz anderes Temperament. Ich hoffe, dass mein neuer Weg in der Erziehung dazu beiträgt, dass er seine Fähigkeit zur Konzentration beibehält und seine Persönlichkeit gestärkt wird. 
 
3) Die vorbereitete Umgebung
Kinder sollen sich möglichst selbständig in seiner Umgebung bewegen können. Alles soll für sie frei zugänglich sein, die Räume hell, freundlich und liebevoll gestaltet, mit klaren Strukturen und Ordnung.
Es wird großer Wert auf eine ansprechende Präsentation der Materialien gelegt, sodass die Kinder eingeladen werden, sich damit zu beschäftigen. Gegenstände sind immer übersichtlich angeordnet, bei Montessori gerne auf Tabletts, damit ein Kind sich alle zu einer Beschäftigung gehörenden Gegenstände nehmen und sofort die Beschäftigung damit aufnehmen kann. Das Aufräumen gehört im Übrigen mit zur Übung.
 
 
Diesen Punkt finde ich persönlich sehr wichtig und gleichzeitig ist er für mich der, den man als Elternteil am einfachsten beeinflussen kann. Es beginnt bei der Einrichtung des Kinderzimmers. Ideal wären offene Regale, in denen das Spielzeug (bei Montessori gibt es kein Spielzeug, hier ist stets von Material die Rede) übersichtlich und schön in Körbchen und auf Tabletts präsentiert wird.
Schade nur, wenn man wie bei uns das Kinderzimmer schon fertig eingerichtet hat und keine offenen Regale vorgesehen waren…
Ich habe mich daher dazu entschieden, zumindest die freien Flächen auf den Kommoden ansprechend  und immer wieder neu zu gestalten, sodass der große Sternentänzer dazu angeregt wird, sich anzuschauen, was da zur Verfügung steht und damit zu arbeiten. Er freut sich jedes Mal riesig, wenn ich etwas Neues vorbereitet habe und hat großen Spaß daran, diese Sachen zu erkunden. Das sind dann auch die Momente, in denen die Polarisation der Aufmerksamkeit am besten gelingt. Dabei sind es in vielen Fällen gar keine neuen Dinge, die ich ihm anbiete, sondern wie auf dem Bild zum Beispiel ein Konstruktionsspielzeug, das er schon lange hatte, mit dem er sich aber in der Vergangenheit kaum beschäftigte, weil es eben eingepackt im Schrank lag und nicht direkt seine Aufmerksamkeit erregte. So hübsch angerichtet war es auf einmal etwas völlig anderes.
Beim kleinen Sternentänzer hatte ich die Möglichkeit, das Babyzimmer um ein offenes Regal zu ergänzen. Hierzu werde ich noch einen eigenen Post erstellen, aber ich kann jetzt schon verraten, dass unser „Montessori- Regal“ selbst auf mich eine beruhigende Wirkung hat und tatsächlich beide Kinder zum Probieren einlädt, auch den Großen. Ich hätte nicht gedacht, dass die Art der Präsentation bei den Kindern so viel bewirken kann, aber es ist tatsächlich der Fall.
 

4) Sensible Phasen
Hierbei handelt es sich um Zeiten, in denen der Mensch besonders empfänglich dafür ist, bestimmte Dinge zu erlernen, z.B. Sprache oder Struktur. Diese Phasen sind von vorübergehender Dauer. Sie enden, wenn die damit verbundene Fähigkeit erworben wurde, oder wenn man die sensible Phase ungenutzt verstreichen lässt. Eltern brauchen einen genauen Blick für das Kind, um solche sensiblen Phasen zu erkennen und zu nutzen, weil es mit sehr viel Anstrengung verbunden ist, die betreffende Fähigkeit zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen. 

Wer, wenn nicht die Eltern, sollte am besten in der Lage sein, sensible Phasen des eigenen Kindes zu erkennen? Im Gespräch stellt sich relativ schnell heraus, was das Kind gerade am meisten beschäftigt, und auch bei Babys bemerkt man oft relativ deutlich, ob sie gerade damit beschäftigt sind, ihre Bewegungsabläufe weiterzuentwickeln oder ihre sprachlichen Fertigkeiten zu verbessern. Irgendwie hört es sich selbstverständlich an, das Kind seinen Interessen gemäß zu fördern, aber ich kann wirklich nur jedem raten, einmal ganz genau unter diesem Gesichtspunkt hinzuschauen und zu hören. Für mich war das eine neue Erfahrung und hat dazu beigetragen, die Kinder besser zu verstehen und noch enger zusammen zu wachsen. Weil die Kinder ganz genau merken, dass man ihnen mit mehr Verständnis begegnet.

5) Regeln und Rituale

Sie geben den Kindern Sicherheit und Orientierung und sind daher ein wichtiger Bestandteil der Montessori- Pädagogik. Sie sollten in überschaubarem Rahmen eingeübt und entwickelt werden, damit sie die Kinder nicht überfordern. Da jedes Kind anders ist, muss auch mit Regeln und Ritualen flexibel umgegangen werden. Wenn ein Kind bereits eine gefestigte Persönlichkeit hat, ist ein fester Rahmen weniger wichtig als bei Kindern, die immer wieder Grenzen überschreiten. Bei ängstlichen Kindern soll sogar dazu ermutigt werden, Regeln zu weiten und Neues auszuprobieren.

Das war für mich jetzt tatsächlich keine große Neuigkeit. In den meisten Familien gibt es Regeln und Rituale, z.B. beim Schlafengehen.

6) Die Drei- Stufen- Lektion

Wenn eine neue Übung mit dem Kind durchgeführt wird, erfolgt dies in am Anfang ohne Worte, oder zumindest mit so wenig Worten wie möglich. Die Aufmerksamkeit des Kindes soll auf die Aufgabe gelenkt werden, während die Person des Erklärenden im Hintergrund bleibt. Je nach Bedarf wird dem Kind ein intensiver, langer Umgang mit dem Material ermöglicht (teilweise über Wochen). Erst dann werden die gemachten Erfahrungen mit Begriffen belegt. In der Regel werden zunächst maximal drei Gegenstände eingeführt, welche sich gut voneinander unterscheiden (z.B. Klein/ Mittel/ Groß), nach und nach kann dann eine Steigerung erfolgen.
Stufe 1: Namensgebung – Es wird vorgeführt, wie man das Material benutzt. Dabei werden die Gegenstände benannt („Dieser Würfel ist groß…“)
Stufe 2: Reproduktion – Man testet, ob das Kind sich die erklärten Begriffe gemerkt hat und auf das Material deuten kann („Zeige mir den großen Würfel…“)
Stufe 3: Abstraktion – Man zeigt etwas und fragt nach der Bezeichnung („Wie ist der Würfel?“ „Groß.“)
Wenn bei einer Stufe Schwierigkeiten auftreten, geht man zur vorherigen zurück. Hat das Kind alle drei Stufen sicher gemeistert, ist es in der Lage, eine neue Übung selbständig durchzuführen.

Ich habe das mal beim großen Sternentänzer ausprobiert. Er war völlig irritiert darüber, dass ich ihm etwas zeige und dabei stumm bleibe. Er konnte sich überhaupt nicht auf den Gegenstand konzentrieren, sondern fand es sehr amüsant, mich dabei zu beobachten, wie ich ihm etwas ohne Worte zeigen will. Scheinbar ist hier noch ein Lernprozess auf beiden Seiten erforderlich, denn im Prinzip verstehe ich den Sinn und Zweck der Drei-Stufen-Lektion und kann mir vorstellen, dass es gut funktioniert, wenn man ein wenig Übung darin hat und das Kind daran gewöhnt ist. Eine neue Sache erst einmal in aller Ruhe vorzustellen und darauf zu achten, dass das Kind sie wirklich verstanden hat, trägt sicher dazu bei, dass das Kind am Ende sicherer mit einem Material hantiert (z.B. Umgang mit dem Küchenmesser). 

7) Übungen der Stille
Hier ist nicht Stille im Sinne von fehlenden Geräuschen zu verstehen, sondern eine innere Stille/ Ruhe/ Ausgeglichenheit des Kindes. Stille tritt ein, wenn
– das Kind in seine Arbeit vertieft ist (siehe Punkt 2)
– nach getaner Arbeit zufrieden innehält oder
– durch besondere Übungen der Stille versuchen, den Weg zu sich selbst zu finden
Eine solche Übung ist zum Beispiel das Gehen auf einer Linie. Die Kinder müssen ihr Gleichgewicht halten, ihre Bewegungen koordinieren und verfeinern dabei ihre Motorik.

8) Isolation einer Eigenschaft
Jedes Material enthält nur einen einzigen Lernschritt und wird isoliert in einer Übung bearbeitet. Dadurch wird Reizüberflutung vermieden und das Kind kann sich besser konzentrieren. Jedes Material ist nur wie vorgesehen zu verwenden.
Wenn das Kind das Gelernte verinnerlicht hat, ist es in der Lage, es im Alltag auch in anderen Situationen anzuwenden.

Eine häufige Kritik an der Pädagogik von Montessori ist genau dieses Fehlen von Kreativität. Das Material darf nur in einer bestimmten Weise verwendet werden, eine anderweitige Verwendung oder gar Spielen damit ist nicht erwünscht. Ich könnte mir vorstellen, dass Kreativität zur Zeit von Maria Montessori noch keine so große Bedeutung hatte wie heute, wo es sehr viele gestalterische Berufe und Arbeitsbereiche gibt und Kreativität eine wichtige Eigenschaft ist, um im Berufsleben zu bestehen. Aus diesem Grund weiche ich an der Stelle etwas von der Montessori- Konzeption ab und versuche, meinen Kindern auch Raum zu geben, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. Montessori soll einmal sinngemäß gesagt haben: „Wenn ein Kind den Himmel grün malt, liegt das nicht an großer Kreativität, sondern daran, dass es den Himmel noch niemals richtig betrachtet hat.“

9) Kinder brauchen klare Erwachsene
Erwachsene begegnen dem Kind mit Wertschätzung, Liebe und Vertrauen. Das Kind wird als eigenständige Person respektiert. Der Erwachsene hält sich zurück und beobachtet sein Kind. Er hilft nur, wenn nötig, ist klar in seinen Äußerungen und geduldig.

„Erkläre es mir, und ich vergesse es,
Zeige es mir, und ich merke es mir, 
lass es mich selbst tun, und ich weiß es für immer“
Konfuzius

10) Die kosmische Erziehung 
Den Kindern soll ein Weg gezeigt werden, ihre Welt zu erobern und allmählich Verantwortung darin zu übernehmen.Wir sollten unseren Kindern beibringen, dass in unserem Universum alles mit allem zusammenhängt und voneinander abhängig ist.
Kinder entwickeln eine intensive Liebe zur Natur, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu gibt. Dadurch entwickeln sie Respekt vor anderen Lebewesen und ein Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, die Erde zu schützen. Die Natur wird im Montessori-Konzept daher als Erweiterung der vorbereiteten Umgebung verstanden und stellt einen wichtigen Bestandteil der Erziehung dar.

Den Ansatz „raus in die Natur, dort gibt es am meisten zu lernen“, teile ich voll und ganz. Ich freue mich so sehr darauf, wenn der Winter endlich vorbei ist und wir den Großteil des Tages wieder an der frischen Luft verbringen können. Ich merke, dass der große Sternentänzer sich sehr für naturwissenschaftliche Fragen interessiert („Wo kommen die Blitze her? Warum verbrennt man sich, wenn man vom Blitz getroffen wird?“). Die kosmische Erziehung soll dazu beitragen, dass ein Kind seinen Platz in der Welt und übergeordnete Zusammenhänge besser versteht. Dem gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen.

Share on facebook
Share on email
Share on whatsapp

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

x